Welche Bedeutung haben die Grundrechte im Sport?

Die im Grundgesetz und in den meisten Verfassungen der (Bundes-)Länder enthaltenen Grundrechte des Bürgers haben auch im Sport eine ganz erhebliche Bedeutung.
1. Das deutsche Verfassungsrecht kennt kein Sportgrundrecht im Sinne eines verfassungsmäßigen Rechts des Bürgers auf Sport. Der Sport ist unmittelbar Gegenstand des Verfassungsrechts nur in einigen Landesverfassungen als Staatszielbestimmung,. Grundrechtlich ist die Ausübung von Sport zunächst wie andere soziale Aktivitäten des Menschen durch das Grundrecht der Allgemeinen Handlungsfreiheit verfassungsrechtlich gewährleistet (Art. 2 Abs. 1 GG). Dieses Grundrecht schützt die sportliche Betätigung allgemein und ohne Rücksicht auf Publikumswirksamkeit, Grad der Virtuosität sowie Ausmaß der konkreten Anstrengung. Dies ist ganz h.M.; nur vereinzelt wird die Sportausübung aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG herausgenommen ("Reiten im Walde"). Alle staatlichen Beschränkungen der individuellen Sportausübung müssen deshalb durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein, das stärker wiegt als das Interesse des einzelnen an sportlicher Betätigung. Weiter müssen solche Beschränkungen ("Grundrechtseingriffe") geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein, um den verfassungsrechtlichen Ansprüchen zu genügen. Diese Anforderungen sind wichtig z.B., wenn der Staat unter Berufung auf seine Schutzpflicht für Leib und Leben der Bürger (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) gesetzliche Einschränkungen bei risikobehafteten Sportarten vorsieht oder Sportausübung im öffentlichen Raum, z.B. wegen seiner Auswirkungen auf die Umwelt einschränkt.
Zu Art. 2 Abs. 1 GG tritt noch als besondere Freiheitsgewährleistung das Grundrecht der Berufs- und Gewerbefreiheit hinzu (Art. 12 Abs. 1 GG). Es hat Bedeutung für diejenigen Sportler, die Sport beruflich ausüben. Dies ist der Fall, wenn die Entgelte aus der Sportausübung eine Lebensgrundlage bilden, darüber hinaus aber auch dann, wenn die Sportausübung, wie z.B. bei öffentlich geförderten Spitzensportlern, den Lebensschwerpunkt in berufsähnlicher Weise ausmacht. Auf Art. 12 Abs. 1 GG können sich weiter auch die sogen. kommerziellen Sportanbieter berufen, wie z.B. Reiseveranstalter und vor allem die Betreiber von sogen. Fitnessstudios.
2. Für das Sportverbands- und Sportvereinswesen enthält das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) die wichtigste verfassungsrechtliche Garantie eines staatsfreien Sports. Der organisierte Sport in Deutschland hat danach die Befugnis, grundsätzlich frei von staatlicher Einwirkung Personenvereinigungen zu sportlichen Zwecken zu gründen und zu beenden, deren Zweck zu bestimmen, deren Namen zu entscheiden, die Organisation zu gestalten und Mittel und Wege zur Erfüllung selbstgesetzter Aufgaben zu bestimmen (Autonomie). Art. 9 GG schließt darüber hinaus die Befugnis ein, im Bereich des vereins- und verbandsorganisierten Sports eigene sportbezogene Werte zu bilden. Dies gilt für den engeren Bereich der technischen Sport- und Spielregeln gleichermaßen wie für den weiteren Bereich der sportethischen Vorstellungen. Das Verständnis dessen, was "sportlich" oder "fair" ist ("Selbstverständnis" des Sports) wird von Art. 9 Abs. 1 GG gegenüber dem Staat geschützt. Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit umfaßt weiter auch die Freiheit, Vereinigungen fern zu bleiben (sogen. negative Vereinigungsfreiheit). Auch diese Seite des Grundrechts kann im Sport bedeutsam sein (siehe VG Köln vom 9.3.1976, zitiert nach Heike Reschke, Handbuch des Sportrechts, Nr. 52 43 1).
3. Die genannten Grundrechte (Art. 2 Abs. 1, 9 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG) sind vor allem gegen den Staat gerichtete Abwehrrechte. Sie sichern auf wirksame Weise den Freiheitsstatus des Sports (Sportorganisation, Sportler). Darin liegt zugleich aber auch ihre wesentliche Grenze. Sie begründen in der Regel keine Ansprüche gegen den Staat auf Förderung des Sports. Man kann auch sagen, die genannten Grundrechte seien im wesentlichen defensiv, auf Verteidigung der Sportfreiheit gerichtete Rechte.. Es macht auch juristische Schwierigkeiten, aus den Grundrechten Ansprüche der Sportler und der Sportorganisationen auf Nutzung öffentlicher Einrichtungen, wie z.B. gemeindlicher Sporthallen oder Verkehrsflächen für Sportzwecke (Marathonläufe, Radrennen, Motorradprüfungen usw.) abzuleiten (sogen. Teilhabeansprüche). Schließlich gibt die Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 GG dem verbands- und vereinsmäßig organisierten Sport auch kein rechtliches Mittel gegen Konkurrenz durch andere Sportanbieter, die auf öffentlicher (Volkshochschulen) oder sonstiger Trägerschaft (Betriebe, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Touristikunternehmen) beruhen.
4. Die Grundrechtsgewährleistungen des Grundgesetzes enthalten nach heutigem Verständnis rechtliche Bedeutung nicht nur im Verhältnis zwischen Staat und Bürger (Art. 1 Abs. 3 GG). Es ist anerkannt, daß sie eine Art "Wertsystem" bilden, und als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts gelten (BVerfG, Urt. v. 15.1.1958, BVerfGE 7, 198/205; ständige Rspr.). Sie haben deshalb Bedeutung auch für die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Sportorganisation und Sportlern. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer "Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte in das Privatrecht hinein, die mit Hilfe einer grundrechtsorientierten Auslegung der Generalklauseln des Zivilrechts (§§ 134, 138, 242, 826 BGB) im konkreten Fall zur Geltung kommt. Zwar können - selbstverständlich - grundrechtliche Freiheiten, etwa solche des Sportlers, durch Vertrag und durch vereins- und verbandsautonome Rechtsetzung beschränkt werden. Es ist eben zunächst Sache der privaten Rechtsmacht, Sportrechtsbeziehungen und Sportrechtsverhältnisse mit diesen Mitteln zu gestalten. Das "Privatrecht des Sports" muß aber im Lichte der Grundrechte aller Beteiligter bewertet werden. Dies hat z.B. Einfluß auf die rechtliche Gestaltung des Vereinswechsels im Fußballsport, die Freiheit von Meinungsäußerungen durch Trainer im arbeits- und verbandsrechtlichen Bereich und anderes mehr. Alle privatrechtlichen Regelungen, die grundrechtliche Freiheiten beschränken, müssen von sachlichen Erwägungen getragen sein und dürfen diese Freiheiten nicht mehr als erforderlich beschränken. Dies gilt beispielsweise auch für die Dauer dopingbegründeter Sperren. Wegen der komplizierten Einzelheiten des Gesamtthemas muß auf die Literatur verwiesen werden.
5. Einzelne Sportbereiche oder sportliche Betätigungen werfen besondere Grundrechtsprobleme auf.
a) Eine besondere Rolle in der verfassungsrechtlichen Beurteilung bestimmter Erscheinungen des Spitzensports spielte und spielt die grundgesetzliche Gewährleistung der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Sie wird nach h.M. auch als Grundrecht angesehen, das nicht nur staatliche Macht und Kompetenz begrenzt, sondern Maßstab ist für alle im Geltungsbereich des Grundgesetzes begründeten Rechtsbeziehungen und Rechtsverhältnisse. Niemand kann etwas rechtsverbindlich versprechen und niemand kann sich zu etwas rechtsverbindlich verpflichten, was die Menschenwürde verletzt. Der Staat ist zum Schutz der Menschenwürde in allen Lebenslagen und in allen Lebensbereichen verpflichtet. Dabei steht das aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete verfassungsrechtliche Verbot im Vordergrund, den Menschen zum bloßen Objekt des Einflusses und der Interessen eines Dritten (Staat, Verband, Sponsoren, Trainer, familiäres Umfeld usw.) herabzuwürdigen. Es geht hier um den sozialen Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen als solchen zukommt. Wichtige praktische Erscheinungen des Spitzensports, die auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenwürde diskutiert werden, sind: Transferpraxis im Lizenzfußball;Doping; Kinderhochleistungssport; Werbung am Menschen; Erschöpfungserscheinungen als Folge der Wettkampfanstrengung usw. Die verfassungsrechtliche Beurteilung solcher Erscheinungen unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde ist nicht einfach. Sie muß von dem Grundprinzip bestimmt sein, daß der einzelne nach dem Menschenbild des Grundgesetzes grundsätzlich frei darüber entscheiden kann, was ihm nutzt und was ihm schadet, sofern nicht Dritte durch diese Entscheidung unmittelbar beschwert sind. Wichtig ist weiter die ethische Überzeugung der (Mehrheit der) Sportgemeinschaft.
b) Art. 2 Abs. 1 GG schließt grundsätzlich das Recht ein, risikobehaftete Sportarten (Risikosportarten) zu betreiben. Der Staat hat keinen generellen Auftrag, die gesundheitliche oder vitale Selbstgefährdung zu unterbinden, etwa im Zusammenhang mit Autorennen in nicht öffentlichen Verkehrsräumen. Dies gilt auch, obgleich das Grundgesetz nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts den Staat durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet, Leib und Leben seiner Bürger vor Gefahren zu schützen. Diese Verpflichtung bezieht sich primär auf Gefährdungen, die von dritter Seite drohen. Denn die Vorschrift des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet allgemeine Handlungsfreiheit und begründet mit der Anerkennung des Anspruchs auf Bestimmung über die eigene leiblich-seelische Integrität das Recht auf eine (bewußt) risikobehaftete Lebensführung einschließlich des Sports (BVerwG NJW 1989, S. 2960; BVerfG NJW 1979, S. 1925/1930 und BGH NJW 1981, S. 811/813).

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